Cultural Fit vs. Add – Warum echte Vielfalt nicht im Lebenslauf steht

Es ist ein vertrautes Szenario: Der Bewerbungsprozess verläuft reibungslos, der Kandidat trägt passende Kleidung, spricht im gleichen Ton, teilt die Wortwahl des Teams – kurz: Er „passt“. Doch hinter diesem Cultural‑Fit‑Moment verbirgt sich eine Gefahr: Teams duplizieren sich selbst. Wer sich selbst ähnelt, denkt ähnlich – und wenn zu ähnliche vertreten sind, bleibt Raum für Impulse aus anderen Richtungen minimal.

Eine Trendumkehr lässt sich in Konzepten erkennen wie dem Cultural‑Add – der bewussten Suche nach Menschen, die nicht nur hinein-, sondern auch herausragen, Perspektiven erweitern. Der Philosoph und Organisationsforscher Edgar Schein beschreibt Kultur als „gemeinsame Grundprämissen“, die über Zeit und Sozialisation verinnerlicht werden, sodass Neues oft ins Bewährte zurückgeführt wird . Wer lediglich ins bestehende Raster passt, trägt wenig zur Entwicklung bei.

Eine Reihe wissenschaftlicher Studien belegt, dass mehr Vielfalt in Führungsteams und Arbeitsgruppen nicht nur moralisch richtig, sondern auch wirtschaftlich wirksam ist. McKinsey etwa fand eine Bestätigung: Firmen in den Top‑Quartilen für ethnische und geschlechtliche Diversität übertrafen ihre Wettbewerber um bis zu 39 % – sowohl bei Profitabilität als auch Resilienz. Auch die jüngste Analyse von 2022 zeigt: ethnisch vielfältige Führungsteams können Profitabilität um 36 % steigern.

Doch nicht alle Diversität wirkt automatisch. Eine Meta‑Analyse mehrerer Studien ergab: kulturelle Vielfalt erhöht kreative Divergenz und Mitarbeiterzufriedenheit – geht jedoch häufig mit mehr Konflikten, wenn kein inklusives Umfeld besteht . Entscheidend ist daher nicht nur, heterogen besetzt zu sein, sondern Unterschiedlichkeit zu integrieren, statt zu verdrängen.

In einem Harvard‑Business‑Review‑Beitrag warnen Arbeitspsychologen Joeri Hofmans und Timothy Judge davor, dass „Cultural Fit“ schnell auf subjektiv-sympathische Ähnlichkeit reduziert wird. Sie empfehlen ein differenziertes Verständnis: Fit könne schützend sein, Diversity gehe weiter.

„Wer Veränderung fördern will, muss Veränderung aushalten können“, sagt Personalberater Henning Wachsmuth, wobei nicht nur Erweiterung in der Peripherie gesucht werde, sondern Ergänzung auf Augenhöhe. Idealerweise bedeutet Cultural‑Add: Menschen einzuladen, die bewusst anders sind – und deren Perspektiven das Team bereichern.

Das Recruiting muss danach neu justiert werden: Weg von der Lebenslauf‑Matching‑Routine hin zur gezielten Ergänzung. Statt linearer Stationen, die sich ins Bild fügen, zählen Haltung, Erfahrungen, Sichtweisen. Emmanuel Faith, Diversity‑Coach, stellt klar: „Culture Add focuses on gaining valuable elements that your culture lacks“. Ziel ist es nicht, Quotentabellen zu füllen, sondern Kulturen durch neue Impulse lebendig zu halten.

Daten unterstreichen, was Coaching und Personalverantwortliche berichten: Diverse Teams treffen bessere Entscheidungen, erschließen neue Märkte und vermeiden Gruppendenken . Eine Studie der Copenhagen Business School zeigte speziell bei gemischten Geschlechterteams höhere Verkaufszahlen und Profit.

Kritiker wie Forscher Jeremiah Green und John Hand von der University of North Carolina mahnen jedoch Vorsicht: nicht jede Studie sei robust, und Korrelation sei nicht gleich Kausalität. Dennoch bleibt das Gesamtbild eindeutig: Vielfalt wirkt – wenn sie systematisch und mit Haltung eingeführt wird.

Das neue Mind‑set beginnt bereits im Interview: Vielfaltsthemen müssen bewusst angefragt werden. Fragen wie „Welche Perspektiven bringst du mit, die uns fehlen?“ oder „Wo provoziert dich Status quo?“ führen bewusst zu Cultural‑Add‑Werten. Recruitment-Daten sollten analysieren, welche Denkarten im Team unterrepräsentiert sind – und welche Denkarten ergänzt werden könnten. Es geht weg von „passt du rein?“ hin zu „was bringst du neu rein?“.

Auch strukturierte Interviewprozesse sind nötig: heterogene Gremien, Perspektiv-Rollen im Verfahren, Case‑Analysen, in denen untypische Lösungen gefragt sind. Nur so zeigt sich, wer wirklich anders denkt und auf Augenhöhe ergänzt.

Doch Cultural‑Add‑Kandidierende müssen auch entsprechende Zeit und Raum erhalten. Wachsmuth verweist darauf, dass neue Perspektiven sich nicht stets sofort entfalten – Integration braucht Begleitung, Konfliktfähigkeit und Führungskultur, die Unterschiede wertschätzt und nicht nivelliert.

Im Kern geht es um Haltung wie Organisation: Wollen wir uns reproduzieren – oder weiterentwickeln? Unternehmen, die Cultural‑Add ernstnehmen, positionieren sich nicht nur als modern, sondern auch zukunftsfähig. Sie ziehen Talente an, die Wirkung zeigen – und gestalten bereits heute die Teams, die innovativ und robust auf Anforderungen von morgen reagieren.

Wer ist bereit, statt Wiederholung Kulturprogression zu wählen?

Teilen:

Ähnliche Themen