Mit Verantwortung durch die Krise: Wie Unternehmen Restrukturierungen menschlich gestalten können

Als im Frühjahr ein deutscher Automobilzulieferer ankündigte, mehrere hundert Stellen abzubauen, rechneten die Beschäftigten mit dem Schlimmsten: verschlossene Türen, knappe Mitteilungen, Unruhe. Doch die Unternehmensleitung entschied sich für einen anderen Weg. Noch bevor die Entscheidung öffentlich wurde, informierte sie die Belegschaft, bot persönliche Gespräche und strukturierte Outplacement-Programme an. „Wir wissen, dass es nicht nur um Zahlen geht, sondern um Existenzen“, erklärte der Vorstandschef. Die Resonanz war überraschend: Zwar blieb die Enttäuschung über den Stellenabbau, doch viele Beschäftigte sprachen von fairer Behandlung und davon, ernst genommen worden zu sein. Das Beispiel zeigt, was viele Unternehmen erst lernen müssen: Transformation braucht Mut – aber auch ein Gespür für Menschen.

Denn Restrukturierungen sind längst kein Ausnahmezustand mehr. Digitalisierung, Globalisierung, Dekarbonisierung und geopolitische Unsicherheiten machen sie zur Regel. Laut einer PwC-Studie von 2023 rechnen mehr als 60 Prozent der DAX-Unternehmen bis 2030 mit tiefgreifenden Einschnitten. „Die Zukunft der Arbeit bedeutet permanente Transformation“, heißt es im jüngsten „Future of Work“-Report der Boston Consulting Group. Für Organisationen bedeutet das, dass nicht allein Strategien und Zahlen zählen, sondern auch die Art und Weise, wie mit den Menschen umgegangen wird, die hinter diesen Zahlen stehen.

„Wie Organisationen mit ihren Mitarbeitenden in Krisenzeiten umgehen, prägt ihr Image für Jahre“, sagt der Arbeitssoziologe Stefan Kühl von der Universität Bielefeld. Gerade im Angesicht des Fachkräftemangels kann ein liebloser Umgang teuer werden. Wer die Loyalität der verbleibenden Belegschaft verspielt, riskiert langfristig seine Wettbewerbsfähigkeit. Auch für Führungskräfte selbst sind solche Phasen heikel. „Führung bedeutet heute nicht nur, Prozesse zu steuern, sondern Beziehungen zu gestalten“, betont der Managementberater Reinhard K. Sprenger. Das wird durch Zahlen bestätigt: Der Gallup Engagement Index 2024 zeigt, dass nur 13 Prozent der deutschen Beschäftigten sich emotional stark an ihren Arbeitgeber gebunden fühlen – Vertrauen in die Vorgesetzten ist dabei einer der entscheidenden Faktoren.

Die Psychologin Jutta Rump, Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE) in Ludwigshafen, verweist darauf, dass Restrukturierungen auch für Führungskräfte eine enorme Belastung darstellen. „Wer diesen Prozess nur als kalte Abwicklung versteht, verliert schnell die Fähigkeit, Orientierung zu geben.“ Verantwortung übernehmen heißt in solchen Situationen auch, den Trennungsschmerz aktiv zu begleiten – und dafür gibt es längst Instrumente.

Eines davon ist Outplacement, ein Verfahren, das sich in Deutschland zunehmend etabliert hat. Betroffene erhalten individuelle Beratung, Coaching und konkrete Unterstützung bei der Jobsuche. „Outplacement ist kein Luxus, sondern ein Kultur-Statement“, sagt Guido Zander, Vorstandsmitglied im Bundesverband Deutscher Outplacement-Berater. Die Zahlen sprechen dafür: Nach Angaben des Verbands finden rund 70 Prozent der Betroffenen innerhalb von sechs Monaten eine neue Stelle, viele sogar unter besseren Bedingungen. Konzerne wie Siemens, BASF oder SAP setzen Outplacement seit Jahren systematisch ein. Bei SAP etwa wurden im Zuge einer Umstrukturierung nicht nur externe Beratungen angeboten, sondern auch Weiterbildungsprogramme für neue Tech-Rollen, sodass manche Kündigungen sogar vermieden werden konnten.

Die Wirkung von Outplacement liegt nicht nur in den Chancen der Betroffenen, sondern auch in der Botschaft an die Belegschaft. Wer sieht, dass Kolleginnen und Kollegen fair behandelt werden, entwickelt leichter Vertrauen in das Unternehmen – selbst dann, wenn Einschnitte unvermeidbar sind.

Entscheidend bleibt jedoch die Kommunikation. „Menschen können mit harten Wahrheiten umgehen, aber nicht mit Unklarheit oder plötzlicher Überrumpelung“, sagt der Organisationspsychologe Axel Koch. Negativbeispiele lieferte zuletzt die US-Techbranche: Bei Twitter unter Elon Musk erhielten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Massenkündigungen per E-Mail, teils mitten in der Nacht. Die Folge waren ein Sturm der Entrüstung, internationale Kritik und ein massiver Vertrauensverlust. Dass es anders geht, zeigen deutsche Mittelständler. Der Maschinenbauer Trumpf etwa setzte bei einem Personalabbau nicht auf radikale Schnitte, sondern auf Altersteilzeit, interne Versetzungen und intensive Kommunikation. Das Unternehmen blieb trotz der Einschnitte als fairer Arbeitgeber im Gespräch – und konnte nach der Krise schnell wieder neue Fachkräfte gewinnen. „Transparenz und Dialog entscheiden, ob Restrukturierung als Verrat oder als notwendiger Schritt erlebt wird“, fasst der Arbeitsrechtler Gregor Thüsing von der Universität Bonn zusammen.

Damit wird deutlich: Restrukturierungen sind nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine kulturelle Bewährungsprobe. Unternehmen, die sich öffentlich zu Nachhaltigkeit und Verantwortung bekennen, müssen in solchen Phasen beweisen, dass ihre Werte mehr sind als Marketing. „Kultur zeigt sich in den Momenten der Härte“, formuliert Sprenger. Langfristig wirken verantwortungsvoll gestaltete Transformationen wie ein Investitionsprogramm in Vertrauen. Unternehmen, die Outplacement, Weiterbildung und offene Kommunikation kombinieren, bewahren nicht nur ihren Ruf, sondern gewinnen an Attraktivität im Arbeitsmarkt. Für viele Bewerberinnen und Bewerber ist längst nicht mehr nur das Gehalt entscheidend, sondern die Frage, wie ein Arbeitgeber in Krisenzeiten mit seinen Menschen umgeht.

Der Automobilzulieferer aus dem Frühjahr kann dies inzwischen bestätigen. Fast alle freigesetzten Beschäftigten fanden mithilfe von Outplacement eine neue Position. In internen Befragungen bewerteten die Mitarbeitenden Vertrauen und Führungsqualität deutlich besser als im Branchendurchschnitt. Das Unternehmen hat die Erfahrung genutzt, um Führungskräfte gezielt in „Führen in Transformation“ zu schulen.

Restrukturierungen werden in den kommenden Jahren nicht seltener, sondern häufiger. Die entscheidende Frage ist daher nicht mehr, ob sie stattfinden, sondern wie. Unternehmen, die den Mut zur Veränderung mit Verantwortung verbinden, können aus der Krise gestärkt hervorgehen. Transformation bedeutet nicht nur, Zahlen zu bewegen – sie bedeutet, Menschen nicht aus dem Blick zu verlieren.

Teilen:

Ähnliche Themen