Wenn Managerinnen und Manager in Ostdeutschland heute über ihre größte Sorge sprechen, ist es nicht mehr der Energiestandort. Nicht die Bürokratie. Nicht einmal der demografische Wandel. Es ist die Stimmung. Das Klima. Die Frage, wie willkommen Menschen in dieser Region eigentlich sind. Vor allem jene, die man dringend braucht, aber immer schwerer bekommt: Fachkräfte aus dem Ausland – und junge Leute aus dem Rest der Republik, die genau hinschauen, bevor sie irgendwo unterschreiben. In vielen ostdeutschen Unternehmen ist diese Erkenntnis mittlerweile Alltag: Nicht die Globalisierung bedroht die wirtschaftliche Zukunft, sondern der eigene politische Windschatten.
Seit Monaten warnt das Institut der deutschen Wirtschaft davor, dass sich Ostdeutschland mit seiner eigenen politischen Entwicklung selbst stranguliert. Eine große IW-Befragung zeigt: 59 Prozent der ostdeutschen Industrieunternehmen halten den Aufstieg der AfD für ein Risiko – nicht nur allgemein, sondern explizit für die Fachkräftesicherung und ihre Investitionsentscheidungen. Es ist eine bemerkenswerte Diagnose, denn sie kommt nicht von politisch motivierten Aktivisten, sondern von jenen, die in der Region Arbeitsplätze schaffen und Wertschöpfung organisieren. Der Wirtschaftsstandort beobachtet die politische Stimmung mit zunehmender Beklemmung.
Die Gründe liegen offen zutage. Ostdeutschland braucht Zuwanderung dringender als jeder andere Teil der Bundesrepublik. Die Ostbeauftragte der Bundesregierung hat es in einer groß angelegten Unternehmensbefragung deutlich formuliert: Viele ostdeutsche Firmen betrachten den Arbeitskräftemangel inzwischen als potenziell existenzbedrohend. Zugleich sagen sie, dass fremdenfeindliche Akteure vor Ort – vom pöbelnden Nachbarn bis zum organisierten rechtsextremen Milieu – die Anwerbung und Bindung internationaler Beschäftigter massiv erschweren. Man könnte es als Understatement bezeichnen. Die Wahrheit ist brutaler: Qualifizierte Menschen kommen nicht in Regionen, in denen sie damit rechnen müssen, als „Fremdkörper“ wahrgenommen zu werden.
Die Sozialforschung liefert dazu inzwischen eindeutige Daten. Eine in diesem Jahr vom Science Media Center ausgewertete IAB-Studie zeigt, dass Regionen mit hohen Wahlergebnissen rechter Parteien signifikant weniger ausländische Arbeitskräfte anziehen. Niedrig qualifizierte Migrantinnen und Migranten reagieren besonders auf rechtspopulistische Wahlerfolge, hochqualifizierte Fachkräfte sensibel auf rechtsextreme Gewalt im Umfeld. Das passt zu einer Analyse im IAB-Forum, nach der fremdenfeindliche Einstellungen in einer Region sowohl die innerdeutsche Mobilität als auch die internationale Fachkräftewanderung bremsen. Menschen — egal ob aus Bayern, Spanien oder Indien — wandern dorthin, wo sie eine Willkommenskultur vermuten. Und sie meiden Orte, an denen sie politische Ablehnung fürchten. Niemand zieht freiwillig in eine Gegend, die mit Schlagzeilen wie „rechtsextreme Hochburg“ verbunden ist.
Dresden hat es schmerzhaft erlebt. Eine Studie, über die der Tagesspiegel berichtete, kommt zu dem Schluss, dass die Stadt jährlich Tausende potenzielle Arbeitskräfte verliert, weil sie als Brennpunkt rechtspopulistischer Bewegungen gilt. Selbst Unternehmen, die dringend erweitern müssten, stoßen an eine unsichtbare Wand: Sie finden schlicht keine Menschen mehr, die dorthin wollen. Das betrifft nicht nur IT-Fachkräfte oder Ingenieurinnen, sondern ganz besonders den Gesundheitssektor, der in vielen ostdeutschen Regionen bereits in einer strukturellen Notlage steckt. Eine Analyse, über die t-online berichtete, zeigt, dass in Wahlkreisen mit starkem Rechtsruck die Zahl ausländischer Pflegekräfte zurückgeht. Für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, die auf internationale Fachkräfte angewiesen sind, wird das zum existenziellen Risiko.
Die ökonomische Dynamik dahinter ist klar, aber für viele Arbeitgeber bitter. Eine Region, die Zuversicht verliert, verliert Menschen. Eine Region, die Menschen verliert, verliert Chance. Und eine Region, die Chance verliert, verliert am Ende auch Investitionen. Das IW formuliert es in seinem Bericht „Der Osten braucht mehr Zuwanderung“ unverblümt: Ostdeutschland kann seine wirtschaftliche Entwicklung nur sichern, wenn es gelingt, ein offenes und internationales Umfeld zu schaffen. Der Ausbau von Chipfabriken, Batteriewerken oder Logistikzentren in Sachsen und Brandenburg wird – im konstruktivsten Sinne – Menschen aus aller Welt benötigen. Doch genau diese Menschen sehen zuerst die politische Lage. Und sie entscheiden danach.
Für die Personalabteilungen der Region bedeutet das einen Strategiewechsel, der sich mit Händen greifen lässt. Viele HR-Chefs berichten, dass sie Bewerber verlieren, sobald diese online die politische Stimmungslage googeln oder Medienberichte über rechtsextreme Vorfälle lesen. Arbeitgeber müssen inzwischen Aufwand betreiben, der im Westen völlig unüblich ist: Sie erklären ihre Region, werben für Vielfalt, betonen Sicherheit und Distanz zur lokalen politischen Entwicklung. Einige Unternehmen positionieren sich öffentlich gegen Extremismus — nicht als politisches Statement, sondern als Überlebensstrategie.
Das ist die paradoxe Realität des ostdeutschen Fachkräftemarkts: Unternehmen müssen sich gegen das Image ihrer eigenen Umgebung stemmen. Und sie tun es zunehmend aus purer Not. Die Arbeitsmarktforscher des IAB bringen es auf den Punkt: Rechtsextremismus und populistische Bewegungen sind Standortrisiken. Sie verschlechtern die Chancen auf wirtschaftliches Wachstum, weil sie die wichtigsten Treiber moderner Ökonomien attackieren: Offenheit, Mobilität, Diversität.
In Gesprächen mit Personalverantwortlichen zeigt sich zudem eine zweite Ebene. Junge Menschen aus Westdeutschland, die offen, liberal oder international geprägt sind, entscheiden sich zunehmend gegen ostdeutsche Regionen — selbst dann, wenn die Jobs attraktiv wären. Die Angst, in eine Umgebung mit gesellschaftlicher Härte zu ziehen, wiegt schwerer als ein gutes Gehalt. „Das Image ist unser größter Gegner“, hört man inzwischen häufiger von Geschäftsführern aus Sachsen oder Thüringen.
Die ökonomische Ironie dieser Entwicklung ist kaum zu überbieten. Gerade die Bundesländer, die am lautesten die „Überfremdung“ beklagen, sind am stärksten auf Zuwanderung angewiesen. Gerade jene Regionen, die der AfD in großer Zahl ihre Stimme geben, brauchen am dringendsten internationale Fachkräfte für ihre Zukunftsbranchen. Und gerade jene Unternehmen, die dort investieren wollen, müssen heute erklären, warum Menschen dort willkommen sind – wider das gesellschaftliche Signal.
Am Ende geht es um mehr als Demografie. Es geht um Zukunftsfähigkeit. Regionen, die sich abschotten, verlieren jene, die gestalten könnten. Regionen, die Weltoffenheit leben, gewinnen jene, die bleiben wollen. Die Wirtschaftsverbände haben das längst verstanden. Der Präsident des Ostdeutschen Bankenverbands brachte es kürzlich in einem Interview auf den Punkt: „Wer hier arbeiten soll, muss sich hier wohlfühlen. Ohne Weltoffenheit gibt es keine Fachkräfte.“ Es ist eine einfache Erkenntnis – aber eine, die über die Zukunft Ostdeutschlands entscheiden wird.