Corporate Influencer: Wie Mitarbeitende die besten Markenbotschafter werden

Wenn Siemens-Managerin Sabine Bendiek auf LinkedIn Einblicke in den Arbeitsalltag teilt, lesen Zehntausende mit. Noch mehr Reichweite erzielt Telekom-CEO Tim Höttges, dessen Posts oft viral gehen – doch die eigentliche Kraft im Employer Branding liegt längst nicht mehr in der Vorstandsetage, sondern bei den Mitarbeitenden selbst. Corporate Influencer, also Beschäftigte, die ihre Unternehmen über soziale Netzwerke vertreten, gelten inzwischen als die glaubwürdigsten Botschafter. „Menschen vertrauen Menschen mehr als Logos“, sagt Kommunikationswissenschaftler Ansgar Zerfaß von der Universität Leipzig. In einer Untersuchung seines Lehrstuhls zur Unternehmenskommunikation von 2023 zeigte sich: 62 Prozent der Befragten gaben an, Mitarbeiterstimmen in sozialen Medien glaubwürdiger zu finden als offizielle Unternehmenskanäle.

Die Deutsche Telekom gehört zu den Pionieren. Schon 2017 startete das Unternehmen ein Corporate-Influencer-Programm, heute sind mehr als 400 Mitarbeitende Teil davon. Auf LinkedIn, Instagram oder Twitter berichten sie über Projekte, Innovationen und persönliche Erfahrungen. „Das hat eine ganz andere Wirkung als klassische PR“, sagt Thomas Mickeleit, ehemaliger Kommunikationschef von Microsoft Deutschland, im Gespräch mit dem PR-Journal. „Mitarbeiter verleihen der Marke ein Gesicht und erhöhen die Reichweite organisch.“ Laut einer Analyse von Hootsuite aus dem Jahr 2022 erzielen Beiträge von Corporate Influencern im Durchschnitt achtmal mehr Engagement als Inhalte von offiziellen Unternehmensaccounts – nicht zuletzt, weil sie nahbarer wirken. Während Hochglanzkampagnen oft steril daherkommen, erzählen Mitarbeitende Geschichten: vom ersten Projekt, den Mühen des Homeoffice oder dem Teamgeist nach einer langen Nacht im Rechenzentrum.

Besonders LinkedIn hat sich zu einer Bühne für diese Stimmen entwickelt. Mit mehr als 20 Millionen Nutzerinnen und Nutzern im DACH-Raum (Stand 2024, LinkedIn-Statistik) bietet das Netzwerk enorme Reichweite. Unternehmen wie Siemens, Bayer oder Otto fördern gezielt Mitarbeitende, die dort posten. „LinkedIn ist längst kein reines Job-Portal mehr, sondern eine Content-Plattform“, erklärt Digitalstrategin Kerstin Hoffmann, Autorin des Buches „Markenbotschafter – Erfolg mit Corporate Influencern“. Sie betont immer wieder, dass Authentizität entscheidend sei: „Authentizität schlägt Reichweite. Wenn Posts zu sehr nach Marketing klingen, verpufft der Effekt.“

Für Unternehmen geht es dabei nicht nur um Markenimage, sondern auch um knallharte Personalpolitik. Der Arbeitsmarkt ist angespannt, Fachkräfte fehlen an allen Ecken. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) waren es 2023 über eine halbe Million. In dieser Situation kann das Bild, das ein Arbeitgeber in der Öffentlichkeit abgibt, über den Erfolg oder Misserfolg der Rekrutierung entscheiden. Und hier spielen Corporate Influencer eine Schlüsselrolle. „Fachkräfte wollen sehen, wie es wirklich ist, bei einem Unternehmen zu arbeiten“, sagt Employer-Branding-Experte Henrik Zaborowski im Podcast HR Total. „Und das erfährt man am besten durch die, die schon dort sind.“

Problematisch ist jedoch, dass auf Portalen wie Kununu oder Glassdoor vor allem frustrierte Ex-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter posten. Laut einer Analyse der Universität Wien von 2021 sind zwei Drittel der Bewertungen dort negativ gefärbt. Wer also als Bewerber einen ersten Eindruck sucht, stößt häufig auf einseitig kritische Stimmen. „Wenn Unternehmen es schaffen, authentische Mitarbeitergeschichten in den sozialen Medien sichtbar zu machen, wirkt das wie ein Gegengewicht zu oft einseitigen Bewertungsportalen“, erklärt Kommunikationsberaterin Mirjam Stahl in der Wirtschaftswoche. Bewerberinnen und Bewerber erhalten so ein differenzierteres Bild – nicht nur das der Enttäuschten, sondern auch das derjenigen, die sich mit ihrem Arbeitgeber identifizieren.

Doch Corporate Influencing birgt auch Risiken. Was passiert, wenn ein Mitarbeiter Kritik äußert oder unprofessionell wirkt? „Unternehmen müssen loslassen lernen“, warnt Stahl. Wer Authentizität will, darf keine Hochglanzkontrolle erwarten. Ein ungeschönter Blick ins Innere kann zwar Schwächen offenlegen, aber gerade das steigert die Glaubwürdigkeit. Ein Beispiel liefert ein Ingenieur eines mittelständischen Maschinenbauers, der auf LinkedIn offen über die Schwierigkeiten bei einem Digitalisierungsprojekt berichtete. Statt einem Image-Schaden brachte der Beitrag positive Resonanz: Viele lobten seine Ehrlichkeit.

Immer mehr Konzerne entwickeln inzwischen strukturierte Programme, um solche Stimmen gezielt zu fördern. BMW startete 2021 die Initiative „#BMWVoices“, bei der Mitarbeitende regelmäßig Social-Media-Schulungen erhalten und als Markenbotschafter auftreten. Bei Siemens gibt es Guidelines und Trainings, die Sicherheit im Umgang mit LinkedIn vermitteln sollen. „Corporate-Influencer-Programme sollten kein Zufallsprodukt sein“, betont Professor Zerfaß. „Es braucht klare Strategien, Unterstützung durch die Unternehmenskommunikation und eine Kultur, die Offenheit erlaubt.“ Eine Studie der Universität Leipzig und der Akademischen Gesellschaft für Unternehmensführung von 2022 zeigt, dass 78 Prozent der befragten DAX-Unternehmen bereits Programme haben oder solche planen.

Für Mitarbeitende bietet die Rolle als Influencer Chancen und Risiken zugleich. Auf der einen Seite gibt es Sichtbarkeit, Netzwerkaufbau, persönliche Markenbildung. Auf der anderen Seite bedeutet es zusätzliche Arbeit. „Viele unterschätzen den Aufwand“, sagt Blogger und Social-Media-Experte Klaus Eck. „Regelmäßiges Posten, Community-Management – das kostet Zeit.“ Manche fürchten auch, unfreiwillig zur „Dauerwerbesendung“ für ihr Unternehmen zu werden. Erfolgreich sind daher vor allem diejenigen, die aus eigenem Antrieb mitmachen. „Zwang ist Gift für Glaubwürdigkeit“, sagt Kerstin Hoffmann.

Die Entwicklung könnte noch weitergehen – von einfachem Storytelling hin zu „Storydoing“. Mitarbeitende berichten dann nicht nur, sie gestalten Projekte mit, die sichtbar nach außen wirken: Nachhaltigkeitsinitiativen, Diversity-Projekte, interne Hackathons. Gerade in einer Arbeitswelt, in der Fachkräfte mehr Wahlmöglichkeiten haben denn je, dürfte dieser authentische Einblick entscheidend sein. „Employer Branding ist am stärksten, wenn Menschen nicht erzählen müssen, dass es gut ist – sondern wenn man es an ihren Geschichten sieht“, fasst Zaborowski zusammen.

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