Was bleibt vom Purpose-Hype?Warum Sinn allein nicht reicht, um Generation Z zu motivieren

Es war einmal ein Unternehmen, das Seife herstellte. Nichts Besonderes – bis es begann, nicht mehr nur Seife zu verkaufen, sondern „Hoffnung, Hygiene und Menschenwürde“. In Werbespots tanzten diverse Menschen, es ging nicht mehr um Produktfeatures, sondern um Haltung. Purpose war das Zauberwort. Der tiefere Sinn hinter der Arbeit sollte die Antwort auf alles sein: den Fachkräftemangel, die Quiet-Quitting-Welle, den Wertewandel der jungen Generation. Doch inzwischen zeigt sich: Der Purpose alleine trägt nicht mehr. Die Frage ist nicht nur, wofür man arbeitet – sondern wie.

Der Sinn, der keiner war

In den letzten Jahren haben Unternehmen weltweit ihre Visionen und Leitbilder aufpoliert. Wer keine Story von Nachhaltigkeit, Diversity oder Weltverbesserung erzählen konnte, galt schnell als rückständig. Purpose wurde zum Megatrend. Studien wie die von McKinsey oder Deloitte legten nahe: Gerade die Generation Z – jene jungen Menschen, die nach 1995 geboren wurden – sucht nach Sinn, nicht nur nach Gehalt.

Doch die Realität vieler Unternehmen sah anders aus. Zwar fanden sich auf Karriereseiten und LinkedIn-Profilen zunehmend Mission-Statements mit globalem Anspruch, doch intern blieben Strukturen oft autoritär, Arbeitsbedingungen prekär, der Alltag sinnentleert. Purpose als PR-Instrument entlarvte sich allzu oft als leere Hülle.

„Wenn Purpose nur als Feigenblatt dient, merken junge Menschen das sehr schnell“, sagt Sarah Leonard, Arbeitspsychologin an der Universität Bremen. „Viele fühlen sich betrogen – sie kommen mit der Hoffnung, Teil von etwas Größerem zu sein, und landen in einem toxischen Meeting-Karussell.“

Zwischen Idealismus und Burnout

Die Generation Z gilt als idealistisch, politisiert, mental fragiler – und gleichzeitig als pragmatisch, wenn es um ihren eigenen Alltag geht. Sie fordert mehr Sinn, aber auch mehr Flexibilität, mehr Selbstwirksamkeit – und vor allem: mehr Authentizität. Ein Unternehmen, das sich nach außen als nachhaltig inszeniert, intern aber Überstundenkultur und Mikromanagement pflegt, verliert in dieser Generation schnell an Glaubwürdigkeit.

Das zeigen auch Zahlen: Laut der Young Professional Survey 2024 des Beratungsunternehmens Academic Work geben 73 Prozent der befragten Berufseinsteiger:innen an, dass ihnen „eine sinnvolle Tätigkeit“ wichtig sei. Aber nur 28 Prozent glauben, dass ihr aktueller Job diesem Anspruch gerecht wird. Ein Grund: die Diskrepanz zwischen versprochenem Purpose und erlebter Unternehmenskultur.

„Viele junge Menschen scheitern an ihrem eigenen Idealismus“, sagt der Berliner HR-Berater Marko Wilkens. „Sie brennen für Themen wie soziale Gerechtigkeit oder Nachhaltigkeit – und landen dann in Organisationen, die diese Themen bestenfalls oberflächlich behandeln. Das erzeugt Frust und führt nicht selten zu frühzeitiger Kündigung.“

Was motiviert wirklich?

Psychologen und Arbeitsforscher betonen seit Jahrzehnten: Der subjektiv erlebte Sinn in der Arbeit ist ein zentraler Motivator – aber nicht der einzige. Das Job Crafting Model etwa zeigt, dass Sinnhaftigkeit häufig nicht im großen Unternehmensziel liegt, sondern im Kleinen entsteht: in der Autonomie, in positiven Beziehungen, in sichtbaren Ergebnissen der eigenen Arbeit.

Die Psychologin Sarah Leonard ergänzt: „Sinn ist kein Top-down-Produkt. Es bringt wenig, wenn der Vorstand ein Vision-Statement formuliert, das dann auf Tassen und Roll-Ups gedruckt wird. Entscheidend ist, ob Mitarbeitende sich selbst als relevant erleben. Dazu braucht es Beteiligung, Vertrauen und Gestaltungsspielräume.“

Gerade für die Generation Z, die in einer Welt multipler Krisen aufgewachsen ist, scheint ein anderes Bedürfnis in den Vordergrund zu rücken: Sicherheit – nicht nur materiell, sondern auch emotional. Unternehmen, die Orientierung geben, psychologische Sicherheit fördern und eine gesunde Fehlerkultur etablieren, werden zunehmend attraktiver.

Purpose braucht Struktur

Was bleibt also vom Purpose-Hype? Vielleicht der Erkenntnisgewinn, dass Wertekommunikation kein Ersatz für strukturelle Veränderung ist. Wer glaubwürdig Sinn vermitteln will, muss das mit konkretem Handeln untermauern: durch faire Arbeitsbedingungen, transparente Entscheidungen, Diversität in Führungsetagen – und vor allem durch eine Unternehmenskultur, die Beteiligung erlaubt.

„Purpose war wichtig, um eine Diskussion anzustoßen“, sagt HR-Professorin Judith Kolb von der Hochschule Augsburg. „Aber jetzt geht es um die nächste Stufe: Wie wird aus dem formulierten Sinn eine erlebbare Praxis? Und wie gehen wir damit um, wenn Mitarbeitende ganz unterschiedliche Vorstellungen von Sinn mitbringen?“

Kolb spricht von einem Paradigmenwechsel im Employer Branding. Statt mit pathetischen Visionen zu werben, gewinnen jene Unternehmen an Anziehungskraft, die eine konsistente, authentische Kultur zeigen – auch im Kleinen. „Statt ‚We change the world‘ ist es oft überzeugender zu sagen: ‚Hier kannst du dich einbringen, wir hören zu, und wir entwickeln uns gemeinsam weiter.’“

Die neue Nüchternheit

Was nach dem Purpose-Hype bleibt, ist also kein Zynismus, sondern eine neue Nüchternheit. Unternehmen, die sich wirklich mit der Arbeitsmotivation ihrer Mitarbeitenden auseinandersetzen, entdecken, dass Sinn nicht verordnet werden kann – sondern dass er entsteht, wenn Arbeit Resonanz erzeugt. Wenn Menschen sich gesehen fühlen, Einfluss haben, wachsen können.

Die Personalchefin eines Berliner Tech-Startups bringt es auf den Punkt: „Früher haben wir mit Purpose geworben. Heute setzen wir auf psychologische Sicherheit und transparente Kommunikation. Das wirkt weniger spektakulär, aber nachhaltiger.“

Auch große Konzerne wie Siemens oder SAP setzen mittlerweile auf ein breiteres Motivationsmodell. Neben Sinn werden auch Aspekte wie Work-Life-Balance, Diversität, Entwicklungsperspektiven und faire Führung betont. Die Kampagnen sind zurückhaltender, differenzierter – und kommen bei jungen Bewerber:innen besser an.

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Der Wertewandel in der Arbeitswelt ist real. Die Generation Z fordert mehr als Boni und Obstkörbe. Aber sie fordert auch mehr als Purpose. Sie will Mitsprache, persönliche Entwicklung, psychische Gesundheit. All das ist mit Sinn verbunden – aber nicht auf der Hochglanzfolie, sondern im Arbeitsalltag.

Das Fazit: Der Purpose-Hype hat einen Nerv getroffen – aber er greift zu kurz. Sinn ist nicht tot, aber er ist komplizierter geworden. Wer ihn ernst nimmt, muss bereit sein, Kontrolle abzugeben, Ambiguität zuzulassen und echte Teilhabe zu ermöglichen. Das bedeutet Arbeit – aber vielleicht ist genau das die neue Motivation: Arbeit, die etwas bewirkt – und zwar nicht nur im Marketing.

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