Wir sehen, was wir sehen wollen

„Welche triste Epoche, in der es leichter ist, ein Atom zu zertrümmern als ein Vorurteil“ (Albert Einstein)

 

In diesem Zitat vom berühmten Physiker Albert Einstein wird deutlich, wie schwer es ist, vorgefasste Meinungen zu verändern. Grund für diese Schwierigkeit ist das psychologische Phänomen der Bestätigungstendenz (confirmation bias). Informationen werden so ausgewählt, aufgenommen und bewertet, dass sie den eigenen Erwartungen entsprechen und somit die eigenen Einstellungen und Ansichten bestätigen. Im Folgenden werde ich die verzerrende Auswahl, Aufnahme und Bewertung von Informationen etwas genauer erläutern.

 

Angenommen ich bin großer HSV-Fan und überzeugt davon, dass der HSV in dieser Saison von den Schiedsrichtern eher benachteiligt wird: Diese Überzeugung wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter verstärken, weil ich zum Bundesliga gucken immer in meine HSV-Stammkneipe gehe. Dort bin von Leuten umgeben, die das ähnlich sehen. Der HSV müsste in der Tabelle eigentlich höher stehen – hatte aber bisher Pech mit den Unparteiischen. Schon bei der Auswahl der Informationsquellen (hier: andere HSV-Fans) sorge ich dafür, dass ich mit gegenteiligen Meinungen gar nicht erst oder kaum konfrontiert werde.

 

Ist das Spiel erst einmal angepfiffen, wird sehr schnell deutlich, inwieweit wir der Bestätigungstendenz unterliegen. Als HSV-Fan nehme ich die Fouls meiner eigenen Mannschaft weniger wahr als die des Gegners. Da reicht ein leichtes Trikot-Zupfen, um es als einen relevanten Regelverstoß aufzunehmen; zieht hingegen ein HSV-Akteur am Trikot eines Gegenspielers, fällt es mir vermutlich gar nicht erst auf.

 

Nachdem eine Information wie das Zupfen des Trikots wahrgenommen wurde, erfolgt deren Bewertung je nach Einstellung ganz unterschiedlich: Ist ein HSV-Spieler der Übeltäter, spiele ich das Foul herunter („das war doch nichts“). Ganz anders sieht es aus, wenn ein HSV-Spieler gefoult wird – dann sollte der Schiedsrichter zumindest die gelbe Karte zücken, wenn nicht rot!

 

Die Bestätigungstendenz findet sich natürlich nicht nur beim Fußball. In ein Experiment der Stanford University von 1979 wurden Leute einbezogen, die entweder klar für oder klar gegen die Todesstrafe eingestellt sind. Ihnen wurden fiktive Studien vorgelegt, die ihrerseits entweder für oder gegen die Todessprache sprechen. Dabei wurde Folgendes festgestellt: Jene Studien, die der Einstellung der Teilnehmer widersprachen, wurden als unglaubwürdig abgestempelt. Die Studien aber, welche die eigene Meinung bestätigen, wurden wesentlich besser bewertet.

 

Was nützt mir nun das Wissen über dieses Phänomen? Das Bewußtsein darüber, dass wir Informationen ganz automatisch so auswählen, aufnehmen und bewerten, dass sie zu unseren Ansichten passen, ist der erste Schritt zu einer kritischen Distanz gegenüber meinen Überzeugungen. Das kann in vielen Situationen sehr hilfreich sein – für uns als Personalberatung ist das Bewusstsein über dieses Phänomen eine wichtige Voraussetzung, um den ersten Eindruck eines Bewerbers gegebenenfalls auch revidieren zu können.

 

(Lord, C., Ross, L., Lepper M. (1979): Biased Assimilation and Attitude Polarization: The Effects of Prior Theories on Subsequently Considered Evidence, in: Journal of Personality and Social Psychology, 37, 2098-2109)

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