Gemeinsam sind wir dumm!

Mir ist bewusst, dass bei der heutigen Besprechung viel auf dem Spiel steht. In welches Projekt soll investiert werden? Unser Budget ist begrenzt, aber Möglichkeiten gibt es viele. Kollege Müller prescht wie gewohnt selbstsicher vor und plädiert für Option C. Maier stimmt euphorisch zu und nennt seine Argumente. Ich habe Bedenken mit dieser Option. Doch bevor ich den Miesepeter spiele und unnötig Disharmonie in die Gruppe bringe, will ich erstmal abwarten, was die anderen sagen… Nach und nach melden sich auch andere für Option C. Wahrscheinlich sind meine Bedenken übertrieben, sonst wären sie sicherlich schon durch einen der anderen auf den Tisch gebracht worden. Wenn ich so darüber nachdenke, fällt mir sogar selbst noch ein gutes Argument für Option C ein. Die Besprechung fängt langsam an, Spaß zu machen. Inzwischen haben wir so viele gute Argumente gesammelt, dass auch ich überzeugt davon bin, dass wir die beste Option gefunden haben. Wie so oft sind wir uns schnell einig geworden. Wir sind ein starkes Team! Oder?

Was, wenn alle so denken?

Was passiert, wenn niemand seine Bedenken äußert, weil er die Harmonie der Gruppe wahren möchte? Was passiert, wenn jeder davon ausgeht, dass die eigenen Bedenken schon geäußert worden wären, wenn sie Bedeutung hätten? Richtig! Dann kommen keine Bedenken auf den Tisch. Es sieht für alle Beteiligten so aus, als gäbe es eine klare Gruppenmeinung. Der einzelne denkt, die Gruppe wird schon Recht haben, schließlich sind viele Köpfe doch schlauer als einer. Die eigenen Beiträge werden an die (erwartete) Gruppenmeinung angepasst. Es werden überwiegend einseitige Argumente vorgebracht und letztendlich werden kaum hinterfragte Entscheidungen getroffen. Dieses gruppendynamische Phänomen nennt man „Groupthink“.

Von wegen Schwarmintelligenz: Eine Gruppe von intelligenten Menschen trifft dumme Entscheidungen

Noch so kluge Individuen können in der Gruppe diesem Phänomen erliegen. Das Ganze ist eben doch nicht immer mehr als die Summe seiner Teile. Das Resultat: Argumente werden kaum kritisch hinterfragt und Alternativen werden unzureichend berücksichtigt. Einmal getroffene Entscheidungen werden starr verteidigt. Risiken und abweichende Meinungen werden abgewertet oder ausgeblendet. Welche Auswirkungen dieses Phänomen bei wichtigen Entscheidungen haben kann, ist offensichtlich. Ein bekanntes Beispiel mit haarsträubenden Folgen, welches auf Groupthink zurückgeführt wird, ist das Scheitern der Schweinebucht-Invasion von 1961. Mit Hilfe der USA wollten Exilkubaner die revolutionäre Regierung unter Fidel Castro militärisch stürzen. Das von der CIA geplante Vorhaben scheiterte vollständig. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass die Planungen der CIA utopisch waren und die Invasion scheitern musste.

Sollten Entscheidungen nur noch von Einzelpersonen getroffen werden?

Wenn damit gerechnet werden muss, dass Gruppen riskante und unreflektierte Entscheidungen treffen, stellt sich die Frage, wie und wer denn jetzt Entscheidungen treffen soll. Alle Entscheidungen nun in die Hände von einzelnen Personen zu legen, ist allerdings zu einfach. Denn es stimmt natürlich: Viele haben per se mehr Expertise als Einzelpersonen. Die Frage sollte daher lauten: Wie kann dem Groupthink-Phänomen entgegen gewirkt werden?

Zunächst ist es schon hilfreich, das Phänomen ins Bewusstsein der Gruppenmitglieder zu rufen und sie zu kritischen Äußerungen zu ermutigen. Darüber hinaus könnte man einen neutralen Moderator bei wichtigen Besprechungen einführen, externe Berater einbeziehen oder die verschiedenen Positionen anfangs anonym notieren lassen.

Eines ist auf jeden Fall sicher: Wenn das Motto ihrer Gruppe lauten soll „Gemeinsam sind wir stark“, dann haben wir die Risiken dieses Phänomens zu berücksichtigen.

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